Letzte Zeit habe ich immer häufiger diese Anflüge von „oh mein Gott, ich werde bald dreißig und habe noch gar nichts im Leben geschafft!!!“ gepaart mit dem dringenden Bedürfnis schreiend im Kreis zu rennen.

Ich bin zur Schule gegangen (tatsächlich sogar in fünf verschiedene Schulen in zwei verschiedenen Ländern) – paar Jährchen länger, als ich ursprünglich gedacht hatte. Nicht etwa weil ich hängen geblieben bin – nein, ich musste nur eine Schulklasse wiederholen, weil ich sie zu verschiedenen Anteilen in zwei verschiedenen Ländern nicht ordnungsgemäß beendet hatte…. kann auch nicht jeder. Darüber hinaus ging ich zur Schule fest im Glauben, dass ich nach zehn Klassen mein Abi habe, doch wie das Leben so spielt – wurden es plötzlich dreizehn. Verschiedene Länder, verschiedene Schulsysteme.

Ich habe studiert – auch viel zu lange für einen Zweifach-BA-Abschluss. Ich hatte meine Gründe und nicht alle waren selbstverschuldet, dennoch habe ich viel zu viel Zeit für etwas aufgewendet, was mit meinem jetzigen Job nichts gemeinsam hat.

Ich arbeite. Zum Glück habe ich etwas gefunden, was mir richtig Spaß macht (auch wenn es nicht gerade lukrativ ist, aber immerhin…).

Ich bin glücklich verheiratet.

Summa summarum bin ich mit meinem Leben zufrieden und dennoch habe ich immer wieder dieses Gefühl, nicht gut genug zu sein. Man hat Freunde, die schon länger mit ihrem Studium durch und beruflich in jeglicher Hinsicht besser bestellt sind, man trifft zufällig alte Schulkameraden, die sich gerade selbstständig machen, man lernt Menschen kennen, die seit ihrem achtzehnten Lebensjahr fest im Berufsleben stehen… Man kriegt alles in einem den Eindruck, man hätte noch so gut wie gar nichts im Leben erreicht. Dazu kommt noch dieses Gefühl, man sei noch Anfang zwanzig, hätte noch das ganze Leben vor sich, was gerade erst anfängt… und dann die kommt die sinnbildliche Eisdusche, wenn man merkt, dass die Arbeitskollegin verdammte ZEHN JAHRE jünger ist als du und dass die Mutti-Kolonnen, die regelmäßig deinen Laden mit Kinderwagen voll stellen, allesamt unter dreißig sind. Und dann steht man da, hin und her gerissen zwischen „ich bin glücklich und zufrieden“ und „fehlt es mir an Ehrgeiz und beruflichen Ambitionen? …an Zielen? Verschwende ich vielleicht mein Leben?“. Ich habe schon immer das Gefühl gehabt, dass mein Leben leicht schizophren verläuft, zumal ich mich lange von einem starken Pflichtgefühl meinen Eltern gegenüber leiten ließ… Sie hatten von mir etwas anderes erwartet und waren sichtlich enttäuscht darüber, dass aus mir weder ein Lehrer, noch ein Arzt, noch ein Wirtschaftsinformatiker wurde. Und vor lauter Pflicht hatte ich doch glatt vergessen herauszufinden, was MICH eigentlich glücklich macht. Ich bewunderte schon immer die Menschen, die direkt nach der Schule ganz genau wussten, was sie beruflich machen wollten und es auch umsetzten. Ich für meinen Teil, habe erst vor paar Jahren angefangen das herauszufinden und plage mich parallel mit dem selbst eingeredeten Minderwertigkeitskomplex, der seinen Ursprung in den nicht erfüllten Erwartungen der Eltern nimmt.

Als ich mich diesen Ausführungen in der Gegenwart einer lieben Freundin hingab, bot sie mir eine andere Perspektive auf diesen ganzen Schlamassel: zum einen gehören wir einer Generation an, die per se schon sehr spät erwachsen wird, das Nest verlässt und komplett selbständig lebt. Dass die Schul- und Ausbildungsjahre sich in die Länge ziehen, ist mittlerweile auch nichts außergewöhnliches mehr. Zum anderen: mit meinem Studium bin ich trotz allem durch – ohne es abzubrechen, wie so viele. Ich habe einen Job, in dem ich eine leitende Position bekleide und den ich echt liebe, weil er so unglaublich vielfältig ist, in einer Firma, die sich noch um ihre Mitarbeiter kümmert. Ich bin glücklich verheiratet mit einem nicht unkomplizierten, aber trotzdem tollen Mann, zu dem – oder wohl eher mit dem – ich gern abends nach Hause komme. Ich habe Freunde und Familie. Warum also das Gefühl, nicht gut genug zu sein? Ich weiß es nicht. Jedem anderen würde ich sagen: „Hey, das hört sich aber gut an! Und das mit nicht mal dreißig..? Wow!“ Also alles eine Frage der Perspektive.

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